Hitzig, aber fair. Nicht hochklassig, aber mit steiler Spannungskurve. Das Derby zum Auftakt der Fußball-Landesklasse 2 hielt vor 350 Zuschauern viel bereit, nur keinen Sieger.
Von Björn Richter (Volksstimme, 12.08.2024)
Franz Josef Möser hat bei seinem Lauf über die linke Seite alles aus seinen Beinen herausgeholt, was diese nach 90 Minuten im Eröffnungsderby der Fußball-Landesklasse 2 noch hergaben. Der Gerwischer Innenverteidiger besaß am Freitagabend auch noch genug Übersicht, um den mitgelaufenen Teamkollegen in die Tiefe des Raums zu schicken. Tommy Gerbers Beine waren zwei Minuten nach seiner Einwechslung freilich noch frisch, doch irgendwie kam der als Stoßstürmer aufgebotene Defensivspezialist bei diesem mustergültigen Konter etwas aus dem Tritt und konnte nur ein harmloses Schüsschen in Richtung Heyrothsberger Tor loslassen. „Schade, mit dem 2:0 wäre der Deckel drauf gewesen“, bedauerte Dirk Bizuga. Und der Trainer der SG Blau-Weiß musste kurz darauf mit ansehen, wie dieser Abend noch eine aus Sicht des Aufsteigers bittere Wende nahm.
Die dritte und letzte Minute der Nachspielzeit war angebrochen, als die Gäste vom SV Union eine Vollversammlung im gegnerischen Strafraum einberiefen. Nach langer Einwurfflanke scheiterte Marcus Schlüter noch an der blau-weißen Abwehrwand, doch der Abpraller landete direkt vor Christian Kloska, der sich die Gelegenheit nicht entgehen ließ und zum 1:1 (0:0)-Endstand einschoss. Trotz der späten Erlösung war die Freude beim Heyrothsberger Trainer Marcel Gieseler nicht ungetrübt: „So, wie er entstanden ist, können wir mit dem Punkt leben. Übers gesamte Spiel gesehen und auch unserer Erwartung entsprechend sind es zwei verlorene Zähler. Am Ende waren wir aber einfach nicht gut genug, um uns den Sieg zu verdienen.“ Schon die Anfangsviertelstunde, die klar an die Sportgemeinschaft ging, stützte diese Einschätzung.
Zwei Minuten war der Abend alt, als Maurice Deckert seine Geschwindigkeitsvorteile auf dem rechten Gerwischer Flügel ausspielte. Für einen ernstzunehmenden Abschluss war der Winkel jedoch zu spitz. Nach einer Viertelstunde eroberte schließlich Brian Schuller den Ball im Zentrum, doch Union-Keeper Christopher Biegelmeier war bei der nachfolgenden Doppelchance von Tobias Thormeier auf dem Posten. Auffällig war zu diesem Zeitpunkt bereits, dass beide Seiten in Sachen Spieleröffnung ähnliche Wege gingen und meist mit langen Diagonalbällen aus der Abwehr heraus agierten.
Bevorzugtes Ziel der Gäste war dabei vor allem Cedric Vorhölter auf der linken Angriffsseite. Wenige Sekunden vor dem Pausenpfiff verschlug es den pfeilschnellen Youngster jedoch unmittelbar vor das Gastgebertor, wo er rückblickend lieber nicht eingegriffen hätte. Dem 1:0-Führungstor durch Schlüter blieb so die Anerkennung verwehrt, da Vorhölter aus dem Abseits heraus am langen Pfosten noch den Fuß ans Spielgerät hielt. Sein Trainer hob jedoch lieber den Stürmerinstinkt seines Schützlings hervor: „Ich war froh, dass ,Cedi’ in dieser Szene hingegangen ist. Rollt der Ball eventuell doch am Tor vorbei und er drückt ihn nicht über die Linie, reißen ihm alle den Kopf ab.“
So aber ging es für alle 22 Akteure mit dem eigenen Haupt auf den Schultern in die Kabine, aus der die Unioner deutlich schwungvoller zurückkehrten. Zunächst durfte sich SG-Keeper Maurice Dünnebier bei einem Schuss von Kloska auszeichnen (54.), dann legte Vorhölter den Ball nur knapp Ziel vorbei (66.). „Ein Quäntchen Glück war dabei, aber dass es irgendwann eine Kraftfrage werden würde, war doch klar. Dafür haben sich die Jungs kämpferisch nichts vorzuwerfen und konnten ja auch noch einmal ein Ausrufezeichen setzen“, leitete Bizuga auf den Höhepunkt des Abends aus Gerwischer Sicht über.
Gerade als der Druck der Gäste etwas abnahm, verbuchten die Hausherren nach einem Eckball durch Thormeier und Simon Otto Fritz eine hochkarätige Doppelchance. Auch der anschließende Eckball von Jonathan Matthe segelte gefährlich in die Gefahrenzone der Unioner, wo die Zuständigkeiten ungeklärt blieben. Der zuvor eingewechselte Marc Köthnig bedankte sich und köpfte sträflich alleingelassen zum 1:0 ein (83.). „Dem Eckball gehen schon vier unglaublich schlechte Aktionen von uns voraus. Es war nicht das einzige Mal, dass wir in manchen Situationen zu unsicher wirkten und dann die falschen Entscheidungen treffen“, haderte Gieseler, bekam schließlich aber die Trotzreaktion seines Teams in Form des Ausgleichs zu sehen.
Mit dem Ausgang hatten dann auch die Gerwischer schnell ihren Frieden gemacht. „Der erste von 30 Schritten in dieser Saison ist gemacht. Darauf lässt sich aufbauen, aber wir müssen eben Woche für Woche alles abrufen, was möglich ist, um zu bestehen“, ordnete der SG-Trainer den Premierenpunkt nach dem Aufstieg ein.
Auf der Gegenseite wurde die Freude über das späte Comeback aber noch durch den letzten Aufreger des Abends getrübt: Weil Schlüter in den Augen von Referee Steffen Grafe das 1:1 zu sehr beziehungsweise höhnisch in Richtung der Gegenseite bejubelte, sah der gelbverwarnte Union-Kapitän quasi mit dem Abpfiff noch die Ampelkarte. Nicht nur sein Trainer hatte daher auch insgesamt seine Schwierigkeiten mit der nicht immer transparenten Linie des Schiedsrichtergespanns: „Eigentlich waren wir auf dem Stand, dass die neue Kapitänsregel zum Start noch mit sehr viel Fingerspitzengefühl ausgelegt wird. Aber wenn man sieht, dass es im Spiel zwei Gelbe Karten für taktische Fouls gibt und die übrigen fünf Strafen für Schulterzucken, Augenrollen und andere Lappalien ausgesprochen werden, läuft etwas grundlegend verkehrt. Erst recht in einem Derby.“
Gerwisch: Dünnebier – Möser, Fritz, Reinhardt (67. Mi. Deckert), Gehrmann, Ma. Deckert, Thormeier (88. Gerber), Schuller, Dake, Jon. Matthe, Joachimstaller (67. Köthnig)
Union: Biegelmeier – Peukert, Gropius, B. Schäfer, Völckel, Kloska, Raue (59. Vasükov, 90. E. Schäfer), Westhause (79. Ziebarth), Vorhölter, Vogel (80. Sensenschmidt), Schlüter
Tore: 1:0 Marc Köthnig (83.), 1:1 Christian Kloska (90.+3)
SR: Steffen Grafe (Barby); ZS: 346; Gelb-Rot: Marcus Schlüter (90.+3, unsp. Verh.) – Heyrothsberge